Wolfgang und Miriam Triebe 

Er hat den Staat so richtig kennengelernt, sagt Wolfgang Triebe aus dem Erzgebirge. Damals, als er 1983 den Waffendienst verweigert habe, geriet er ins Visier der Behörden, die ihn fortan nicht mehr in Ruhe lassen. Doch als Pfarrer einer kleinen sächsischen Gemeinde engagiert er sich weiter: Für Abrüstung, gegen den ökologischen Raubbau, für mehr Menschlichkeit. Er rennt an gegen die bornierten Verhältnisse im SED-Staat. 1989 gründet er eine Bürgerinitiative in Ostelbien, die abseits des Neuen Forums politisch aktiv wird. Er gründet die Ost-SPD mit und bleibt auch nach der Wende aktiv und streitet für die Belange seiner Region. Das Pfarramt, das ihm zu DDR-Zeiten Schutz bot, gibt er Mitte der 90er auf: Im fehle das Rebellische, Anarchische in der gesamtdeutschen Kirche, sagt er. Heute ist er arbeitslos.

Die Geschichte seiner Rebellion hat auch die drei Kinder geprägt. Der Aufarbeitungsdiskurs wird am Küchentisch geführt und nicht selten finden sich die Kinder in einer Rolle wieder, in der sie vermitteln müssen zwischen ihren Eltern und deren Ansichten zum untergegangenen Staat.

Was bleibt von der eigenen Rebellion, von den Werten, für die man jahrelang gekämpft hat? Wo findet sich eine Familie, deren Leben vom Widerstand bestimmt war, wieder, wenn das Objekt des Widerstandes plötzlich fehlt? Das sind die realen Fragen, mit denen die Familie umgeht. Und es sind die Fragen, die die Kinder prägen: Die ihre Lebenswege und Gedanken auch heute noch bestimmen.

Tely und Jacob Büchner

Erfurt - RuiK-Dreh-1145

 

Keine Zeit für Erinnerung: Tely Büchner hat als eine von fünf mutigen Frauen am 4.Dezember 1989 die Besetzung der Stasi-Zentrale in Erfurt initiiert. “Wir haben uns soviel erkämpft in dieser Zeit, wir konnten jetzt nicht halt machen”, sagt sie heute über die Ereignisse. Zuvor waren Gerüchte in der Stadt ruchbar geworden, dass im Keller der Staatssicherheit Akten  verbrannt werden. So macht sich Tely Büchner, damals hochschwanger mit ihrem Sohn Jacob, gemeinsam mit ihren Mitstreiterin auf den Weg zum Gebäude in der Andreasstraße in Erfurt. Was als spontane Aktion begann, um die Vernichtung von Stasiakten zu verhindern, geht als die erste Stasibesetzung im Zuge der Friedlichen Revolution in die Geschichte ein. Nachdem sich die Wirren des Umbruchs gelegt haben, bleibt Tely Büchern weiterhin aktiv: politisch; aber vor allem in der Kunstszene der Stadt. Doch sie blickt nicht zurück, schwelgt nicht in Erinnerung, redet auch mit ihrem Sohn Jacob nicht häufig über die Zeit der Friedlichen Revolution. Der Grund: “Ich hatte keine Zeit für Erinnerung, das Leben war ja weiterhin spannend”. Erst nach 20 Jahren trifft sie ihre damaligen Mitstreiterinnen wieder.

Marion und Lena Brasch

Familie Brasch im Sternenfoyer

Marion Brasch hat als einzige ihrer Familie überlebt: Ihre drei Brüder, darunter Thomas Brasch, wurden als Schauspieler, Dramatiker und Schriftsteller bekannt, starben jedoch jung, gezeichnet von einem Leben zwischen Erfolg, Revolte und Exzess. Ihr, der kleinen Schwester, war das Rebellische ihrer Brüder nie eigen. Und doch: Im Herbst 1989 unterzeichnet sie als eine der ersten die „Rockresolution“ und führt den Aufstand gegen die Programmleitung beim Radiosender DT64 mit an. Sie begehrt auf gegen einen Staat, den ihr Vater Horst Brasch, vormals stellvertretender Kulturstaatsminister, bis zu Selbstaufgabe verteidigt hat.

Ihre Tochter Lena wird vier Jahre nach dem Mauerfall als gemeinsames Kind von Marion Brasch und Jürgen Kuttner geboren. Die Geschichte ihrer Familie ist für sie auch ein Leitbild dafür, wie aus Reibung und Widerstand künstlerische Energie werde; eine Reibung, die ihr heute oft fehle: Im vereinten Deutschland fühle sie sich oft wie in einem Kokon, eingerichtet in einer Welt, in der es keine Mauern zum Gegenlaufen mehr gäbe. Vielleicht gerade deshalb hat sie sich entschieden, in die Fußstapfen ihrer berühmtem Onkel zu treten und ihr Leben der Literatur und dem Theater zu widmen.

Michael und Kilian Stieber

Kilian und Michael

Die Familie Stieber würde es ohne Mauerfall ganz sicher nicht geben. Denn eigentlich hatte sich Michael Stieber, der 89 Anfang zwanzig war, schon verabschiedet: Von dieser DDR, von seiner Familie, seinen Freunden. Im Sommer 1989 fasst Michael Stieber den Plan, die DDR zu verlassen: Nicht unbedingt als Aufstand, eher aus Trotz. Er wolle sich nicht vorschreiben lassen, wo er zu wohnen habe. Zu diesem Zeitpunkt hat er zwei Anwerbeversuchen der Stasi widerstanden und drei Jahre Armeezeit hinter sich gebracht.

Nach zwei gescheiterten Ausreiseversuchen begeht er im Oktober 1989 Republikflucht. Am Tag seiner Abreise nimmt er in seiner Heimatstadt Neubrandenburg noch an der ersten Montagsdemonstration teil. In ihm keimt Hoffnung auf, dass sich hier in der stickig gewordenen DDR vielleicht doch noch etwas ändern ließe. Doch seine Entscheidung ist gefallen. Über Ungarn und Österreich reist er in den Westen, lässt sich dort nieder und ist sich sicher: Seine Heimatstadt Neubrandenburg wird er wohl nie wieder sehen, als Republikflüchtling gilt er als Staatsfeind. Einen Monat später fällt die Mauer, Weihnachten 1989 ist er zu Besuch in Neubrandenburg, eine Amnestie für Republikflüchtlinge macht es möglich. Dauerhaft zurückkehren in diesen sich auflösenden Staat möchte er eigentlich nicht. Doch er lernt seine spätere Frau kennen, ein Jahr später im Dezember 1990 wird Kilian in Neubrandenburg geboren. Der heute 22jährige sagt, die Geschichte seines Vaters sei zwar immer präsent gewesen in der Familie, doch erst jetzt, wo er im Alter seines Vaters damals ist, begreife er die Tragweite seiner Handlungen. Geprägt habe ihn die Geschichte trotzdem: Als politisch aktiver Mensch vertritt er ähnliche Werte wie sein Vater. Nur das dieser das Land, in dem er sich für Freiheit und und mehr Menschlichkeit eingesetzt hat, verlassen musste.

Martin und Rahel Jankowski

Martin Jankowski wurde quasi von der Stasi zum „hauptamtlichen Revolutionär“ gemacht. Bereits mit 17 Jahren wurde er mit Zersetzungsmaßnahmen bedacht, durfte fortan trotz guten Abiturs nicht studieren, bekam Schreib- und Auftrittsverbot. Also entschloss er sich im Januar 1987, sich ganz der politischen Opposition Leipzigs anzuschließen. Als Autor und Sänger unterstützte er die Arbeit oppositioneller Gruppen und versteckte den Umweltaktivisten Michael Beleites, der mit seinen Enthüllungen über die verheerenden Folgen des Uranabbaus international Aufsehen erregte. Ab 1988 war er maßgeblich an der Organisation der Friedensgebete in der Nikolaikirche beteiligt und spielte so auch in den bewegten Tagen um den 9.Oktober eine wichtige Rolle. Die Stasi derweil verwanzte die Wohnung der jungen Familie von Martin Jankwoski. Seine Tochter Rahel ist zur Wende gerade 2 Jahre alt und ist heute Schauspielerin u.a. in Bern und Berlin. Die Freiheit, den Mund aufzumachen, dafür hat Martin Jankowski gekämpft. Ein Engagement, das seine Tochter zu schätzen weiß: Die Freiheit, die sie heute genießt, ist damals auch von ihrem Vater miterkämpft worden.